70 Jahre VVN Mannheim – Referat von Fritz Reidenbach

6. Januar 2018

von Fritz Reidenbach

 

1. Die Befreiung von der NS-Terrorherrschaft erfolgte

durch die Anti-Hitler-Koalition.

Bei uns marschierten die US-Truppen am 29.März 1945 in Mannheim ein.

-befreit fühlten sich all jene, die in irgendeiner Weise unter dem NS-Regime gelitten hatten, die Opfer waren oder Angehörige von Opfern der NS-Macht

-viele Menschen der Region waren über das Ende des Krieges erleichtert, aber von Befreiung war nicht die Rede. Erst 1985 sprach der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker vom 8. Mai als dem Tag der Befreiung. Er würdigte den Widerstand und den Anteil der Kommunisten am Widerstand.

2. Die NS-Opfer hatten keine Lobby, sie mussten

um ihre Ansprüche kämpfen.

Mit Briefen an den OB Braun, den die US-Besatzungsmacht eingesetzt hatte, machten Angehörige ihrem Unmut Luft, weil sie wegen mangelnder Hilfe und Unterstützung unzufrieden waren.

Die Stadtverwaltung erklärte, sie wolle helfen, es fehlten aber entsprechende Richtlinien, was wiederum die Betroffenen zu Bittstellern machten.

Über Sonderzuwendungen wurde gestritten, die nur politisch Verfolgte oder an Juden geleistet werden sollten.

Die Unterbringung von entlassenen KZ- und Gefängnishäftlingen im Hochbunker am Luisenring, wenn sie keine Angehörigen hatten, wo sie unterkamen, stieß auf Unzufriedenheit und heftige Kritik.

Die Beschlagnahmung von Wohnungen ehemaliger NSDAP-Mitglieder für politisch Verfolgte wurde von der US-Militärbehörden und OB Braun gestoppt.

Veranlasst wurde dies vom Leiter des Wohnungsamtes, Rudolf Kohl, der der KPD angehörte.

 

3. Aus Anlaufstellen wurden Betreuungsstellen, Hilfsstellen für politisch und rassistisch Verfolgte, erst dann erfolgte die Gründung der VVN als Vertretung der Verfolgten.

Die geleistete Hilfe wurde nun besser geregelt, auch wenn sie sehr bescheiden ausfiel. Eine Mannheimer Firma spendete 30.000,- Reichsmark, von denen Frauen von hingerichteten Widerständlern je 1.000,- Reichsmark erhielt. Davon ausgenommen Anna Lechleiter, die in die Schweiz übersiedelte oder Käte Neischwander, die nach Weinheim verzog.

Unabhängig von der Betreuungsstelle beim Wohlfahrtsamt bildete sich

in K 4,1 eine „Hilfsstelle für die Betreuung ehemaliger KZ-Gefangener und Opfer des Naziregimes“, die auch Ausweise für diese Personen ausstellte.

Am 17. Nov. 1945 verbot die Militärregierung antifaschistische Organisationen, darunter fiel auch die Hilfsstelle, die sich vorwiegend um materielle Hilfe kümmerte.

Anette Langendorf hat dies im Beirat am 3.April 1946 kritisiert und auf die unbefriedigende Situation für die politisch Verfolgten hingewiesen. Mannheim sei die einzige Stadt, wo keine Ausweise ausgestellt werden dürften.

Es gab die Antifa-Ausschüsse, die nach der Befreiung von Kommunisten und Sozialdemokraten gebildet wurden, um die anstehenden Probleme zu lösen. Manche erhofften sich, dass daraus einheitliche Arbeiterpartei entstehen könnte.

Die US-Amerikaner wollten dies nicht.

Fritz Salm sah in den Antifa-Ausschüssen eher die spontane Antwort auf die Not der Zeit, als die Vorstufe zu einer gemeinsamen Partei.

Der Wunsch in der Arbeiterschaft nach Demokratie und Sozialismus war groß. Siehe hierzu auch das Plakat zum 1. Mai 1946.

Im Herbst 1945 wurden die ersten Parteien zugelassen, darunter, SPD, KPD und CDP.

Diese waren nun der Platz zur politischen Interessenvertretung der politisch Verfolgten.

Erst am 17. März 1946 fand in Stuttgart eine Landeskonferenz der politisch Verfolgten statt. Jakob Baumann(SPD) wurde in den Landesausschuss gewählt, der sich für die Etablierung landesweiter Betreuungsstellen einsetzte.

Eine erste öffentliche Versammlung der VVN fand am 28. April 1946 in der Kantine der Motorenwerke statt.

 

4. Am 4. Febr. 1947 genehmigte die Militärregierung den Antrag wodurch die politisch Verfolgten in Mannheim eine politische Vertretung bekamen.

In Mannheim bildete sich die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Württemberg-Baden(VVN), Kreisstelle Mannheim“.

Die Betreuung der 1.800 politisch und rassistisch Verfolgten für deren Wiedergutmachung war eine große zu bewältigende Aufgabe, die die VVN über Jahrzehnte wahrnahm.

Jakob Baumann(SPD) wurde Vorsitzender der Mannheimer VVN, Stellvertreterin wurde Anette Langendorf(KPD), deren Ehemann aktiv in der Lechleitergruppe war und 1942 hingerichtet wurde.

Der Kalte Krieg wurde immer stärker. So kam es zu Abspaltungen aus der VVN, die gezielt vom Bundesinnenministerium finanziert wurden.

1948 beschloss der Düsseldorfer PT. der SPD, die Unvereinbarkeit einer SPD Mitgliedschaft mit einer VVN-Mitgliedschaft.

1949 hatte die VVN in Mannheim 860 Mitglieder, darunter 111 Mitglieder der SPD.

Jakob Trumpfheller(SPD Vors. in Mannheim) hatte in der SPD dafür gestritten, dass die SPD-Mitglieder aus der VVN rausgehen, bekam dafür allerdings keine Mehrheit.

1947-1949 gab es gemeinsame Totengedenkfeiern, hier vor allem für den politischen Widerstand. 1950 lehnten SPD und CDU diese gemeinsamen Totengedenkfeiern ab.

1951 musste die VVN auf Weisung des SPD-Oberbürgermeisters die von der Stadt bereitgestellten Räume verlassen.

 

5. Nach 1945 erfolgte schrittweise die Etablierung der alten Besitz- und Machtverhältnisse.

Der Antifaschismus, d.h. der aktive Widerstand wurde noch gewürdigt, wich aber immer mehr dem Antikommunismus.

Die Etablierung der alten Besitz- und Machtverhältnisse wurden massiv von der Besatzungsmacht und der bürgerlichen Parteien betrieben.

Die Westintegration, die Remilitarisierung und das Verbot der KPD waren die Folge dieser Politik.

Erneut kam es zu Verfolgungen und zu Berufsverboten.

Alte Nazis kamen wieder an wichtige Schaltstellen. so erklärte Adenauer(damaliger CDU-Bundeskanzler von 1949 bis 1964, er müsse so lange schmutziges Wasser benutzen, solange er kein sauberes habe.

Widerstandskämpfer wurden als Verräter bezeichnet, NS-Opfer mussten um ihre Rechte kämpfen, weil eine Entnazifizierung im Lande, in den Institutionen und an den Schalthebeln der Macht gescheitert war.

Alte Nazis und alte Machteliten besetzten die Schalthebel der Macht.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die VVN immer wieder behaupten müssen und an den Widerstand erinnert und alte Nazis angeprangert.

 

6. 1971 erfolgte die Erweiterung der VVN auf VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.

In der Öffentlichkeit hat die VVN stets zu aktuellen Themen der Rechtsentwicklung Position bezogen. Der Kampf gegen das Erstarken der NPD, gegen das Aufkommen der REPs, für den Rücktritt von Filbinger als Ministerpräsident, der als Marinerichter in der NS-Zeit belastet war.

Immer wieder stand die Frage, dass nach Artikel 139 GG alle Nazigruppen zu verbieten sind und keine legale Wirkungsmöglichkeiten haben dürfen.

Der Staat und die Regierungsparteien haben trotz großer Bewegungen die Nazis nicht verboten, stattdessen wurden die Notstandsgesetze beschlossen, die eine weitere Einschränkung demokratischer Rechte zum Ziel haben.

In Hamburg und Rheinland-Pfalz kam es zu einem zeitweiligen Verbot der VVN, weil sie als kommunistische Tarnorganisation eingeschätzt wurde. Auch die Bespitzelung durch den Verfassungsschutz war an der Tagesordnung. In BaWü wurde dies unter grün-rot in der letzten Landtagslegislaturperiode auf Druck aufgegeben.

 

7. Mannheimer VVN hat viel erreicht

In Mannheim haben sich von Anfang an Männer und Frauen für die VVN engagiert und für die Rechte der Verfolgten und deren Angehörigen gestritten. Dadurch hat sich die VVN in der Öffentlichkeit großes Ansehen erworben.

Es ging um die Anerkennung und Würdigung des Widerstandes. So wurde ein Georg-Lechleiterplatz, eine Jakob-Faulhaber-Straße und eine Rudolf-Langendorf-Straße benannt.

1981 wurde in den Lauerschen Gärten eine Gedenktafel für die standrechtlich Erschossenen Männer aus dem Vetter-Kaufhaus(früher Samt und Seide) angebracht.

1984 die Benennung vieler Straßen in Schönau-Nordost nach Widerstandskämpfern.

Das Denkmal auf dem Georg-Lechleiter-Platz wurde erst nach jahrelangen Kämpfen und einem Künstlerwettbewerb vom Gemeinderat beschlossen und 1988 von Max Oppenheimer/VVN Präsidium(Der Fall Vorbote) eingeweiht. Und am 22. April 2017 das Fritz-Salm-Straßenfest.

Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder und dem Wegbrechen finanzieller Hilfen und Solidarität machte die VVN etliche Krisenjahre durch. Es gab Mitgliederverluste und die Zukunft der VVN stand auf der Kippe.

Als Persönlichkeiten, die sich über viele Jahre für die VVN und deren Forderungen eingesetzt haben, darf ich nennen:

Jakob Baumann(SPD-Stadtrat), Anette Langendorf(KPD-Stadträtin),

Richard Stark, August Locher(KPD- und DKP-Stadtrat bis 1977), Hermann Jerrentrup, Richard Hofmann, Heiner van der Laan, Fritz Salm, Walter Ebert(DKP-Stadtrat 1978 bis 1994), Usch Köhler, Gertrud Weber, Carola Fromm, Dr. Egon Knapp, Elke Kammigan-Bentzinger und viele viele andere.

Einen langen Atem im Antifaschismus und für Frieden und Abrüstung waren notwendig, aber auch die Bereitschaft zur Mitarbeit in den Bündnissen und die Verlässlichkeit.

 

Anhang

Referat zur Landesdelegiertenkonferenz am 17.05.1947
LDK17-05-47_Referat (PDF, 2,85 MB)